Cross-Industry Innovation - wenn wir wüssten, was sie wissen
Viele gute Entwicklungen sind so entstanden: durch nachmachen. Natürlich im besten Sinn und alles ganz legal. Das Prinzip geht so: 1. Das eigene Produkt oder die eigene Dienstleistung analysieren. 2. Den Markt analysieren. 3. Den Unterschied zwischen 1. und 2. darstellen und analysieren. 4. Den Kunden des Produktes / der Dienstleistung analysieren. 5. Über den Tellerrand hinausschauen, und dort nach Lösungen für diese Kundenbedürfnisse suchen.
Viele Unternehmen schmoren im eigenen Saft. Sie kennen ihren Markt, ihre Kunden, ihre Wettbewerber, und holen sich Anregungen für Verbesserungen aus genau diesem Umfeld: ihrem Markt, ihren Kunden und ihren Wettbewerbern. Dass es auch anders geht zeigen die Beispiele, die man im Internet findet (suchen Sie nach den Stichworten: "Cross Industry Innovation Example"). Die Frage, die sich stellt, lautet: wie geht man vor? Der prinzipielle Weg ist natürlich bereits skizziert (vgl. Punkte 1. bis 5.); aber wie sieht eine praktische Anwendung dazu aus?
Rechnen mit Worten
Daten, um Antworten für den ersten Schritt zu finden, sind in jedem Unternehmen vorhanden: Produktkataloge incl. Handbücher (enthalten den eigenen Stand der Technik), die das Produkt an sich beschreiben, sowie Vertriebs- (warum haben wir einen Auftrag erhalten / nicht erhalten), Produktions- (wo hat es Fehler gegeben, und welche waren es) und Wartungsberichte (welches Produkt hat unter welchen Umständen welchen Fehlerstatus erzeugt, und wie ist er vom Service behoben worden). Alle Dokumente zusammen ergeben ein ziemlich vollständiges Bild davon, wie die interne Situation eines Produkts unter technischen Aspekten einzuschätzen ist. Weil diese Daten in Form von Dokumenten vorliegen (sie sind von Menschen für Menschen geschrieben) sind sie jedoch eher unstrukturiert in dem Sinn, dass frei formatierter Text verwendet wird, um Sachverhalte zu beschreiben. Um Fließtext so zu analysieren, wie man es von Zahlen gewohnt ist, wird Text im ersten Schritt in einzelne Strings (Zeichenfolgen) zerlegt. Strings können im einfachsten Fall ein Wort im umgangssprachlichen Sinn sein, aber natürlich auch Messgrößen (5,2 kg), DIN Normen (DIN EN ISO 216), chemische Formeln ((NH4)2S), Reaktionsgleichungen ( 2 H2 + O2 -> 2 H2O) oder mathematische Gleichungen.
Im zweiten Schritt wendet man sich externen Dokumenten zu, wobei die Analysemethoden, die zum Einsatz kommen, gleich bleiben. Schritt drei, der "was wissen sie, was wir nicht wissen"-Schritt, findet die Unterschiede zwischen dem internen und dem externen Wissen heraus, und stellt sie grafisch dar. Schritt vier beinhaltet das, was man unter dem Begriff „Design Thinking“ überall nachlesen kann: man muss sich möglichst gut in einen Anwender hineinversetzen, und seine Bedürfnisse im Umgang mit dem Produkt/der Dienstleistung verstehen, wenn man Erfolg haben will. Der fünfte und letzte Schritt beinhaltet wieder eine Dokumentanalyse. Diesmal sucht man jedoch nicht im eigenen Umfeld (= nicht im eigenen Saft schmoren). Man wendet sich vielmehr ganz gezielt anderen Branchen zu, um dort Lösungen zu finden, die sich übertragen lassen. Die Dokumente, die für die Schritte zwei, drei und fünf benutzt werden können, sind vielfältig: Patente, Gebrauchsmuster, technische Publikationen, Webseiten – eben alles, was Text in jeglicher Form enthält.
Dokumentanalyse am Beispiel eines Pumpenherstellers
Für die Positionsbestimmung eines Pumpenherstellers kann der eigene Produktkatalog als Ausgangspunkt für den ersten Schritt dienen. Im zweiten Schritt werden externe Dokumente, die z. B. den Begriff "Pumpe" enthalten, herangezogen.
Bild 1: Dokumente werden in einzelne Worte zerlegt, und nach Worthäufigkeit sortiert dargestellt (alle Worte werden verwendet).
Aus beiden Bereichen werden die Dokumente in Worte zerlegt, wobei entweder alle Worte (Bild 1), oder vielleicht auch nur Substantive verwendet werden (Bild 2, die Selektion von z. B. Substantiven bezeichnet man als NLP – Natural Language Processing).
Bild 2: Mit Hilfe von NLP (Natural Language Processing = Wortarterkennung) werden aus den Worten von Bild 1 die Substantive extrahiert und separat dargestellt.
Um Bild 3 - das "was wissen sie, was wir nicht wissen"-Ergebnis - zu verstehen – und eines der Hauptziele der Analyse zu erreichen – muss man sich an die Mengenlehre in der Schule erinnern: Hat man zwei Mengen A (= der Markt) und B (= die eigene Organisation), so zeigt die Schnittmenge "A nicht B" die Teilmenge, die alle Begriffe enthält, die zwar im Markt "Pumpe" vorkommen, in den eigenen Dokumenten jedoch nicht verwendet werden.
Bild 3: Ergebnis der Analyse der internen Dokumente (Verfahren wie in Bild 1 gezeigt) und der Analyse der externen Dokumente (ebenso analog zu Bild 1), nachdem beide Wortmenge voneinander abgezogen worden sind. Übrig bleibt das "Was wissen sie, was wir nicht wissen"-Ergebnis: welche Worte benutzen alle anderen im Zusammenhang mit dem Begriff "Pumpe", wir aber nicht.
Auf sehr nachvollziehbare Weise ist so eine Stärken-Schwächen Analyse erstellt worden, die natürlich bei Bedarf weiter verfeinert werden kann. Außerdem läßt sich mit wenig Aufwand eine Marktanalyse zum Thema "Pumpe" erstellen (Bild 4).
Bild 4: Exemplarische Marktanalyse zum Thema "Pumpe" mit Hilfe von deutschen Schutzrechten. Gezeigt wird (von oben links nach unten rechts): die Anmelder mit den meisten Schutzrechten, die Zahl der Anmeldungen als Funktion der Zeit, die Verteilung der Anmeldungen auf IPC-Klassen und die regionale Verteilung der Anmelder aus Deutschland nach Landkreisen.
Der vierte Schritt – sich in den Kunden hineinzuversetzen – braucht an dieser Stelle nicht beschrieben werden; die einschlägige Literatur dazu ist sehr vielfältig. Die Ergebnisdarstellung des fünften Schritts ist weggelassen. In ihm wird gezeigt, was es in anderen Branchen für die Themen an Lösungsansätzen gibt, die mit Hilfe von Design Thinking und dem Ergebnis von Schritt drei gefunden worden sind.